Die urbane Umgebung ist heutzutage eine vorgefertigte Umwelt, in der der Mensch nicht Teilnehmer, sondern Zuschauer ist. Der Mensch lebt losgelöst von Raum und Zeit. Wie kann sich innerhalb des begrenzten Ökosystems 5tadt ein natürliches System entwickeln, eine komplexe Umgebung, in der Zeit ist für Raum und Raum für Zeit? Das ist die Kernfrage dieses Essays.
Eine solche Entwicklung würde bedeuten, dass fundamentale den heutigen Strukturen von Politik, Geld und Regeln diametral entgegengesetzte Veranderungen stattfanden. Laut Le Roy könnten natürliche Strukturen durch Zuhilfenahme freier Energie und durch Kooperation zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren entstehen. Diese Strukturen könnte man Ökokathedralen nennen. Le Roys Vision basiert auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie zum Beispiel der Chaostheorie, die besagt, dass komplexe Systeme durch Selbstorganisation entstehen, wenn man dem Faktor Zeit reichlich Spielraum lasst. Je komplexer ein System ist, desto mehr Freiheit kann entstehen, und je mehr Freiheit gewahrt wird, desto größer kann das hochstmogliche Mass an Ordnung werden. Für Le Roy ist Komplexität der Gegenpol zu Diversität. So, wie ein Verkaufer auf dem Markt seine Waren zur Schau stellt, ist der gegenwartige städtische Raum die Summe räumlicher Diversitaten.
Vor dreißig Jahren begann Le Roy mit seinem Experiment einer ökokathedrale in der niederlandischen Stadt Mildam, einem Experiment mit zeitlich offenem Ende. Ausgangspunkt war die dreiteilige Frage des Nobelpreistragers Ilya Prigogine: "Was kann die Natur tun, was konnen lebende Menschen tun, und wozu ist ein lebend er Organismus fähig?" Le Roy fragte sich, was ein einzelner Mensch tun kann und setzte die Frage in die Tat um. Willkürlich bepflanzte er ein vier Hektar großes Gebiet. Nach Abschluss eines entsprechenden Vertrages rnit der Gemeinde, wurden in dem Gebiet jahrelang Restprodukte aus dern Straßenbau deponiert. Nur rnit seinen Händen und ohne weitere Hilfe von außen erweckte Le Roy dieses Material zu neuem Leben in Form diverser Bauwerke, Mauern und Wege. Auch erfand er Türme, die so konstruiert sind, dass sie als Reinigungsanlagen für Regenwasser fungieren. Diese Ökokathedrale zeigt die Potenz rnenschlicher Energie, die in der Natur eingesetzt wird. Die gebündelte Kraft aller Menschen konnte eine Megaquelle sauberer Energie darstellen. So könnte eine neue geselIschaftliche Umgebung enstehen, in der jeder auf kreative Art und Weise an der Entwicklung eines Lebensraums ohne Grundriss und ohne Eingrenzung von Privatbesitz teilhaben könnte. Die Umsetzung von Le Roys Ideen würde die Umwälzung der Einrichtung des städtischen Raums bedeuten.
Er plädiert vorläufig noch für eine Doppelstadt, für ein alternatives System neben dem bereits existierenden. In einer solchen Stadt rnüsste die freie Energie von Menschen nicht als rnarktverfälschend angesehen werden. Le Roys Ideen stießen während der letzten Jahrzehnte in anderen europäischen Ländern auf großes Interesse, vor allem in Deutschland und der Schweiz. Bisher wurden jedoch alle mit großer Begeisterung angefangenen Experimente vorzeitig abgebrochen. Laut Le Roy werden politische Systeme kreativen Kräften niemals freien Lauf lassen. Dafür sind radikale Entscheidungen von Seiten der Politik, der Wirtschaft und der Konsumenten nötig, die verstrickt sind in die heutigen Regeln der Konsurngeselischaft.